Interview zum Pilotprojekt «Speak Up!» Das Projekt setzt sich für die Auseinandersetzung mit Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus ein. Im September und August 2024 haben sechs verschiedene Jugendgruppen und Schulklassen teilgenommen. Wie lief's?
TeilnehmerInnen berichten von überraschenden Ereignissen und brechen mit gängigen Erwartungshaltungen gegenüber jüdisch-muslimischem Dialog.
Jennifer Bachmann: Die Infoveranstaltung zum Projekt hat mich überzeugt. Ich wollte das Thema unbedingt angehen, weil ich in unserem Jugendhaus immer wieder mitbekomme, dass muslimische Jugendliche sich nicht gesehen fühlen und gleichzeitig aber auch grenzwertige Äusserungen gegenüber anderen Gruppen machen. Ich bin dafür, dass man zusammensitzt und miteinander über diese schwierigen Themen spricht. Das Projekt Speak Up! macht ja genau das.
Als ich dann die Vorbereitungen gestartet habe, habe ich gemerkt, dass unsere Jugendlichen sich sehr unsicher fühlen, das Thema in der Öffentlichkeit zu besprechen. Sie sind vielleicht noch zu jung. In der Besprechung mit dem Projektmanager Endrit Sadiku haben wir dann beschlossen, das Projekt mit jungen Erwachsenen durchzuführen. Er hat eine Gruppe von jüdischen Menschen aus Basel angefragt und ich habe auch drei Muslime, die so um die 20 Jahre alt sind, zusammengetrommelt.
Daraus sind dann zwei verschiedene Videos entstanden: Ein langes Gruppengespräch, wie ein Podcast und mehrere kürzere Videos, in denen immer je eine jüdische und eine muslimische Person zusammen Fragen rund um das Thema Diskriminierung beantworten.
Es war so herzig! Leider hatten wir am Anfang die Kameras noch nicht aufgestellt: Die muslimische Gruppe haben Geschenkli mitgebracht für die jüdische Gruppe. Sie sassen dann beim Lunch zusammen und haben so neugierig und offen miteinander gesprochen. Endrit und ich mussten da gar nichts mehr machen. Sie haben sich direkt über ihre Erfahrungen ausgetauscht und Gemeinsamkeiten gefunden.
Also die einzige Irritation war, dass mich das ganze so gerührt hat. Diese Neugier, Offenheit und Wertschätzung. Es gab gar kein «Wir und Ihr». Es war einfach etwas Gemeinsames. Das möchte ich wirklich der Öffentlichkeit zeigen: Schaut euch diese jungen Menschen an; ein Miteinander - es geht doch!
Ich habe auch für mich selber so viel gelernt. Ich habe keinen direkten Bezug zu Religion. Aber für meine Arbeit im Jugendhaus spielt es eben eine Rolle. Ich war auch beim Auftakt der Woche der Religionen dabei. Das hat mich sehr bereichert. Ich merke jetzt immer wieder: Das Thema Religion geht mich auch als nicht-religiöser Mensch etwas an!
Ganz sicher! Ich glaube sie haben ganz stark voneinander profitiert. Sie sind sich einfach als Menschen begegnet und können auch anderen mit den Videos zeigen, dass man nicht «schubladisieren» muss. An dem einen Nachmittag, an dem wir uns getroffen haben, hatten die Teilnehmenden noch so viel Feuer und hätten noch Stunden lang miteinander weiter geredet.
Ich glaube das ist einfach aktuell noch zu schwierig und emotional. Und viele Jugendliche wissen auch zu wenig über die Politik, um dafür eine Sprache zu haben. Aber das Projekt hat gezeigt, dass JüdInnen und MuslimInnen nicht für die politische Lage stehen, sondern Menschen mit Gefühlen sind.
Habt Mut und probiert's! Lieber einmal zu viel probieren als zu wenig. Dass es unter Jugendlichen zu antisemitischen und rassistischen Angriffen kommt, das müssen wir angehen. Und das geht nur, wenn wir mit ihnen diese grossen Themen besprechen. Und offen für einen gemeinsamen Prozess sind.
Teilnehmerin: Bedeutsam, spannend und vulnerabel... Solche Interaktionen, wie das Videoprojekt, helfen mir, mich weniger einsam zu fühlen. Ich konnte zum Ausdruck bringen, dass ich schon immer sehr starke Solidarität mit Muslim:innen empfunden habe und immer noch empfinde. Ich glaube das wird häufig missverstanden. In den Medien wird es oft so dargestellt, dass Muslim:innen und Jüd:innen immer gegeneinander stehen. Aber das ist nicht so.
Ich fand es eine mega tolle Idee. Ich war wegen der Veröffentlichung der Videos auf den Sozialen Medien schon nervös. Und dann habe ich aber gemerkt, dass Endrit Sadiku, der Projektmanager, uns bei jedem Schritt mitbestimmen lässt. Das hat mir dann Sicherheit gegeben. Im Nachhinein kam das dann auch anders: bis jetzt wurden die Videos doch nicht auf den Sozialen Medien, sondern bei Veranstaltungen gezeigt und da ist das Publikum ganz anders. Ich habe einfach die Erfahrung gemacht, dass wir jüdische Menschen instrumentalisiert werden, weil wir eben eine so kleine Gruppe sind. Deswegen bin ich da vorsichtig.
Vor dem Treffen an sich war ich nicht nervös. Ich habe mich sehr über den Austausch mit den drei Muslimen, die sich angemeldet haben, gefreut. Es tut mir jedes Mal gut, wenn ich solchen Austausch haben darf.
Wir haben uns über unsere Diskriminierungserfahrungen ausgetauscht und auch ein bisschen über theologische Themen. Ich habe oft mehr Schwierigkeiten mit Christ:innen oder Atheist:innen oder christlich-geprägten Menschen über meine Erfahrungen als Jüdin zu sprechen. Und ich habe schon oft erlebt, dass Muslim:innen mir mit viel mehr Verständnis begegnen. Auch Menschen, die von anderen Diskriminierungsformen betroffen sind, verstehen meine Erfahrungen meist besser als die Schweizer Mehrheitsgesellschaft. Muslim:innen und Jüd:innen haben hier in der Schweiz einen ähnlichen emotionalen Bezug zum Thema Diskriminierung.
Ich bin sehr froh, dass wir dieses Projekt gemacht haben; dass wir die Themen antimuslimischer Rassismus und Antisemitismus besprochen haben und offenlegen konnten, wie sie uns im Alltag begegnen und belasten.
Als wir die Videos aufgenommen haben mit den Fragekarten haben wir gemerkt, dass wir vieles Gemeinsam haben. Ich hätte am liebsten noch weitere Gespräche geführt. Der Fokus jetzt lag auf dem Thema Diskriminierung, aber wir hätten auch noch über Theologie und Politik sprechen können. Zum Beispiel haben wir unterschiedliche Zugänge zur religiösen Praxis. Ich finde das spannend, sich auch über die Unterschiede zu unterhalten. Und auch über die politische Lage ist es wichtig zu reden, aber das muss auch nicht in der Öffentlichkeit passieren.
Ich hätte grosse Lust das Projekt «Speak Up!» weiterzuführen und einfach mal mit der jüdisch-muslimischen Gruppe, die da entstanden ist, etwas gemeinsam zu unternehmen.