INFOREL beobachtet: In der Region Basel steigt die Zahl der buddhistischen Gemeinschaften. Warum boomt der Buddhismus? Um das herauszufinden, hat INFOREL mit der Religionswissenschaftlerin Prof.in Almut-Barbara Renger gesprochen, die zudem mit so einigen Vorurteilen aufräumt.
Frau Renger, Buddha boomt? Achtsamkeitspraktiken, Buddhastatuen und buddhistische Lehrbücher sind heute weltweit verbreitet und sehr beliebt. Was macht den Buddhismus hierzulande so attraktiv?
Grosse Anziehungskraft geht davon aus, dass der Buddhismus sich als Erfahrungsreligion präsentiert, die auf Autonomie setzt: Auch wenn die Lehren des Buddha zentral sind, sollen sie nicht blind übernommen werden, es komme vielmehr auf individuelles Bemühen um Einsicht und selbst gemachte Erfahrung an. Eine grosse Rolle spielt zudem, dass der Buddhismus als zeitgemässe Alternative zum institutionalisierten Christentum gilt. Die kirchlichen Lehren und Sozialformen des Christentums werden von vielen Menschen als dogmatisch, überholt und starr wahrgenommen. Demgegenüber dient der Buddhismus oftmals als Projektionsfläche, ohne dass es wirklich zu einer Auseinandersetzung mit seinen Inhalten sowie sozialen und politischen Realitäten kommt.
Die Einschätzung des Buddhismus als zeitgemäss erfolgt freilich nicht grundlos. Was wir in unseren Breitengraden als Buddhismus verstehen, ist eine Mischung aus buddhistischen Traditionen Asiens und Diskursen der westlichen Moderne, insbesondere des Rationalismus der Aufklärung, der Romantik, des protestantischen Christentums und der Psychologie. In einer komplexen Verflechtungsgeschichte im Dreieck Asien-Europa-Nordamerika ist seit dem 18. Jahrhundert ein moderner Buddhismus rationalen Zuschnitts entstanden, der dank Print- und digitalen Medien heute global verbreitet ist. Sein Buddhabild ist das eines Analytikers, der Dogma und Ritual ablehnt. Sein Verständnis des Buddhismus ist das einer Philosophie oder wissenschaftskompatiblen Vernunftreligion, in deren Zentrum Meditation steht. Dazu tritt die Faszination durch asiatische Ästhetik, ihr Formbewusstsein und ihre Naturverbundenheit. Wundert es Sie vor diesem Hintergrund, dass kommerzialisierte buddhistische Bilder, die einstmals für Rituale gedacht waren, als exotisierender Dekor neben einem Gartenzwerg landen?
Der Buddhismus beruft sich auf Siddhartha Gautama, der mutmasslich im 6. Jh. v.u.Z. in Nordindien lebte und den Titel des «Erwachten» («Buddha») trägt. Nach dessen Tod verbreiteten sich die Lehren in Süd- und Ostasien. Dort bildeten sich viele verschiedene Strömungen heraus. Welche Formen vom Buddhismus sind in Europa bekannt?
In vielen westlichen Ländern gibt es vor allem in grösseren Städten eine Vielzahl an buddhistischen Traditionen. Formen des sogenannten ethnischen Buddhismus, die von Migrant:innen aus Asien praktiziert werden, stehen dabei neben solchen, für die der Fachdiskurs den Begriff „Konvertiten-Buddhismus“ verwendet. Für Migrant:innen haben Buddhismus und Tempelbesuche häufig identitätsstiftende und -bewahrende Funktion – sie verbinden sich darüber mit ihrer Herkunftskultur. Für sie spielen Ahnen- und Reliquienkult, Verehrungspraktiken und Gebete, die sich an Gottheiten richten, eine wichtige Rolle. Bekannt sind diese Formen in der Öffentlichkeit kaum. Und wenn von ihnen die Rede ist, kommt nicht selten Ablehnung zum Ausdruck.
Ganz anders verhält es sich mit Meditationstechniken. Sie erfahren hohe Aufmerksamkeit in den Medien. Manche Konvertit:innen begreifen Meditation gar als Essenz des Buddhismus schlechthin. Von den Formen des heutigen Theravada-Buddhismus, der vor allem in Sri Lanka, Myanmar, Thailand, Kambodscha, Laos und Vietnam verankert ist, sind in westlichen Ländern insbesondere Übungen populär, die unter dem Begriff „Einsichtsmeditation“ bzw. Vipassana laufen. Sie dienen dazu, Achtsamkeit zu kultivieren und so die „Drei Daseinsmerkmale“ – alles ist unbeständig, leidhaft und ohne Selbst – zu erkennen. Von den Mahayana-Traditionen, die unter anderem in der Volksrepublik China, Taiwan, Japan, Korea, Tibet und Bhutan verbreitet sind, ist insbesondere das Zazen bekannt. Es zielt darauf, über stilles Sitzen ohne einen konkreten Gegenstand die reine Natur des Geistes zu Tage treten zu lassen. Bedingt durch die Präsenz von Exil-Tibeter:innen und infolge der Popularität der Person des Dalai Lama geniesst zudem der tibetische Buddhismus grosse Bekanntheit. Besondere Bedeutung haben hier Visualisierungen von Gottheiten sowie der Gebrauch von Mantras, Silben und Wortformeln, sowie Mudras, Gesten in rituellen Folgen. Diese Formen werden meistens unter den Begriff Vajrayana subsumiert.
Wir haben es also mit einer Vielzahl an Strömungen zu tun, die heute in Europa praktiziert werden. Wie kam es denn dazu, dass sie sich hier so fest verankert haben?
Der Buddhismus fand in Europa anfänglich vor allem Interesse in den Wirkungsfeldern der Künste und der Philosophie. Zu seinen frühesten Interessenten zählt Arthur Schopenhauer.
Fest verankert hat er sich infolge kolonialistisch bedingter Begegnungen, in denen sich Menschen in Asien mit dem missionierenden Christentum und den Herrschaftsansprüchen der europäischen Kolonialherren konfrontiert sahen. Seit etwa 1870 kam es zu Aktivitäten, die als „buddhistischer Modernismus“ bezeichnet worden sind. Daran beteiligt waren europäische Gelehrte wie der Indologe Eugène Burnouf in Frankreich, amerikanische Sympathisanten wie der Theosoph Henry Steel Olcott in Sri Lanka und einflussreiche asiatische Mönche und Intellektuelle, denen die populären Formen buddhistischer Religiosität als reformbedürftig erschienen.
Zu den damals vorgenommenen Anpassungen an das wissenschaftliche Weltbild der westlichen Moderne gehört die Betonung rationalistischer Elemente im Buddhismus und der Verweis auf seine Kompatibilität mit den modernen Wissenschaften. Ein wichtiges Merkmal ist zudem die Gründung buddhistischer Laienorganisationen, in denen auch Frauen führende Positionen einnehmen können. Hinzu kommt ein starker Fokus auf soziales Engagement zwecks verbessernder Umgestaltung der Welt. Des Weiteren hat die aktive Konfrontation mit dem missionarischen Christentum zur Aneignung von dessen ausgeprägter Text- und Ethikbezogenheit geführt, wofür die Forschung den Begriff „protestantischer Buddhismus“ geprägt hat. All dies hat dem Buddhismus eine so grosse Anschlussfähigkeit in westlichen Ländern eingetragen, dass er aus ihren religionspluralen Landschaften des 21. Jahrhunderts nicht mehr wegzudenken ist.
Geboren 1969; Lehre im Fachbereich Religionswissenschaft an der Theologischen Fakultät und der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Basel.
Das von der Autorin verfasste Buch «Buddhismus. 100 Seiten» erschien 2020 bei Reclam in der Reihe 100 Seiten. In dieser Reihe bietet der Reclam Verlag Bände zu aktuellen und relevanten Themen aus Kultur und Geschichte, Naturwissenschaft und Gesellschaft. Mit ihrem taschentauglichen Format und einem Umfang von nur 100 Seiten bieten die Bände die ideale Lektüre für Zwischendurch: 100 Seiten für 100 Minuten.
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