INFOREL geht den Vorstellungen vom Buddhismus weiter nach: Lesen Sie im zweiten Teil des Interviews mit der Religionswissenschaftlerin Prof.in Almut-Barbara Renger über die Gefahren des Begriffs «westlicher Buddhismus» und über das «buddhistische Glück».
Frau Renger, im ersten Teil unseres Interviews haben Sie uns die Erscheinungsformen und die Entstehungsgeschichte des «Buddhismus im Westen» nähergebracht. Daran wollen wir anschliessen: Gibt es eine einheitliche Definition vom «Westlichem Buddhismus»? Und was halten Sie von dieser Bezeichnung?
Einen Konsens, was eine solche Definition angeht, gibt es nicht, und ich selbst halte von der Bezeichnung nur bedingt etwas. Suggeriert sie doch, dass wir es mit einem monolithischen Block, das heisst mit Einheitlichkeit und Geschlossenheit zu tun hätten. Dies aber ist weder der Fall noch erscheint es mir wünschenswert, auch da es in einer multireligiösen Gesellschaft unsere Aufgabe ist, Diskriminierung entgegenzuwirken. Hat der Begriff das Potential, dies zu leisten? Und wer sollte entscheiden, was unter «Westlichen Buddhismus» fällt und was nicht?
Noch ein weiterer populärer Begriff: «Glück». Welche Rolle spielt «Glück» im heutigen Buddhismus?
Im Buddhismus wird von einem Prinzip ausgegangen, demzufolge «alle Lebewesen vor Leid zurückschrecken und sich nach Glück sehnen» – so ein Wortlaut in der Mittleren Sammlung des Pali-Kanon (MN 94), der kanonischen Literatur des Theravada-Buddhismus. Um zu bestimmen, was Glück ist, wird unter anderem zwischen kleinen Glücksmomenten und letztem Glück unterschieden, das Erlösung aus der menschlichen Unheilssituation im Kreislauf der Wiedergeburten bedeutet. Zu diesem Glück führt laut Pali-Kanon der „mittlere Weg“ – ein Pfad, der zwischen Selbstkasteiung auf der einen und ausschweifender sinnlicher Lust auf der anderen Seite verläuft.
Alternative Begriffe für dieses Glück, das völlige Entspanntheit des Körper-Geist-Organismus und Befreiung von Anhaftung impliziert, sind in der deutschen Sprache «Glückseligkeit», «Seligkeit» und «Erfüllung». Seine Beschreibung in buddhistischen Zeugnissen basiert auf der Erfahrung von Nirvana durch «bodhi», «Erleuchtung» beziehungsweise, diese Übersetzung ist zu bevorzugen, «Erwachen» – ein Begriff, der von der Sanskrit-Wurzel stammt, von der auch «buddha», wörtlich «der Erwachte», abgeleitet ist. Daraus können wir schliessen: Ohne Erwachen keine Erfüllung, ohne Entspanntheit kein Glück!
Worin liegt die Gefahr in der Rede von «dem rationalen Westen» und «dem spirituellen Osten»?
Gut, dass Sie mit diesem idealtypischen Gegensatz auf das wirkmächtige Orientalismusbild des 19. Jahrhunderts hinweisen! Auch wenn ich selbst häufig von «westlichen Ländern» spreche, um mir Aufzählungen zu ersparen, bereitet mir der Wortgebrauch doch Unbehagen. «Westen» und «Osten» waren ursprünglich Richtungsbegriffe. Heute sind sie, nachdem sie eine soziopolitische Umwandlung erfahren haben, einander polarisierend als Raumkonstruktionen gegenübergestellt. Sie sind gewissermassen Container auf mentalen Landkarten, in die Konzepte wie «Rationalität» und «Spiritualität» als imaginierte Attribute eingeschlossen sind. Das fördert alte und neue Stereotype, Vorurteile und Ressentiments, die in Gewaltaktionen umschlagen können. Und in der Tat ertönen ja allenthalben Schlachtrufe sowohl gegen den «Westen» als auch gegen den «Osten», die auf Feindbildern beruhen – und auf dem Glauben, auf der richtigen Seite zu stehen.
Wenn wir schon bei der Stereotypisierung von Kulturen sind: Mit welchem Missverständnis wollen Sie ein für alle Mal aufräumen?
Das ist eine schwierige Frage, da es so viele Missverständnisse rund um den Buddhismus gibt. Den meisten von ihnen liegt der Irrtum zugrunde, dass wir es mit einem in sich geschlossenen, kohärenten System zu tun hätten. So heisst es dann zum Beispiel: Der Buddhismus ist tolerant, missioniert nicht und kennt keine Gewalt. Die Buddhisten sind Vegetarier, meditieren ständig und mögen keinen Sex.
Solche Verallgemeinerungen sind für ein Verständnis wenig förderlich. Wer bitte sind die Buddhisten? Den Buddhismus gibt es ebenso wenig wie das Christentum oder den Islam. Die Unterschiede der einzelnen Richtungen und Auslegungen, die von ungezählten religionsinternen Polarisierungs- und Spaltungsabläufen zeugen, sind vielmehr so gross, dass die Forschung häufig von Buddhismen spricht. Religionen, und so auch buddhistische Traditionen, tragen in enormer Weise zum Selbst- und Fremdverständnis von Personen, Gruppen und Gesellschaften bei. Als Religionswissenschaftlerin besonders wichtig ist mir daher das Missverständnis, der Buddhismus sei keine Religion, sondern ein Lebensstil ohne Glauben, Dogmen und Gebote. Darum kreist mein Buddhismus-Büchlein, das im Reclam Verlag in der Reihe «100 Seiten» erschienen ist.
Geboren 1969; Lehre im Fachbereich Religionswissenschaft an der Theologischen Fakultät und der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Basel.
Das von der Autorin verfasste Buch «Buddhismus. 100 Seiten» erschien 2020 bei Reclam in der Reihe 100 Seiten. In dieser Reihe bietet der Reclam Verlag Bände zu aktuellen und relevanten Themen aus Kultur und Geschichte, Naturwissenschaft und Gesellschaft. Mit ihrem taschentauglichen Format und einem Umfang von nur 100 Seiten bieten die Bände die ideale Lektüre für Zwischendurch: 100 Seiten für 100 Minuten.
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