Obwohl das Anliegen der Ehe für alle eine Änderung des Zivilgesetzbuches und die zivilstandesamtliche Trauung von gleichgeschlechtlichen Paaren betrifft, hatten sich im Vorfeld der Abstimmung auch religiöse und kirchliche Institutionen zur Vorlage positioniert. INFOREL hat Andreas Hartmann, Präsident der Evangelischen Allianz Basel-Stadt, zur Annahme und möglichen Auswirkungen der Ehe für alle auf Freikirchen interviewt.
Am vergangenen Sonntag hat die Schweizer Stimmbevölkerung die Ehe für alle mit 64,1 % Ja-Stimmen angenommen. Die Schweizerische Evangelische Allianz, ein Verband mit rund 460 landes- und freikirchlichen Gemeinden, hatte im Vorfeld der Abstimmung für ein klares Nein plädiert. Andreas Hartmann präsidiert die lokale Evangelische Allianz Basel-Stadt, die 45 Gemeinden und Werke in Basel umfasst.
Herr Hartmann, die Vorlage zur Ehe für alle wurde am Sonntag von keinem Kanton abgelehnt. In Basel-Stadt sprachen sich gar knapp drei Viertel der Stimmenden für ein Ja aus. Überrascht Sie dieses Resultat?
Grundsätzlich hat es mich positiv überrascht, dass so viele Menschen ihr Interesse am Thema bekundet haben und sich mit der Ehe und dauerhaften Beziehungen beschäftigen. Andererseits hat sich die Gesellschaft halt mit diesem «Ja» auch gegen unser Verständnis von Ehe ausgesprochen. Da befürchte ich, wir haben es nicht geschafft, den Leuten das Bild von gesunden, starken christlichen Ehen zu vermitteln. Wenn die Scheidungsrate weniger hoch wäre, hätte die Gesellschaft sicherlich ein anderes Bild von der Bedeutung einer Ehe zwischen Mann und Frau.
Also denken Sie, dass es so viel Zustimmung zu dieser Vorlage gegeben hat, weil man die Ehe nicht als eine langfristige Institution sieht? Haben denn homosexuelle Menschen Ihrer Ansicht nach schnelllebigere Partnerschaften?
Ich denke, dass es ausserhalb der Kirchen nicht mehr viele Leute gibt, die die Ehe als eine lebenslange Partnerschaft ansehen, in der man Kinder und Grosskinder hat und so weiter. Man entscheidet sich bei einer Heirat eher für eine Phase und nicht für ein ganzes Leben und das finde ich problematisch. Meines Wissens haben homosexuelle Menschen viel mehr SexualpartnerInnen im Leben als heterosexuelle und wäre die christliche Vorstellung einer Ehe verbreiteter, wäre der gesellschaftliche Diskurs sicherlich anders gewesen. Ich fand die Form der eingetragenen Partnerschaft richtig und wichtig, aber eine Ehe ist für mich etwas zwischen Mann und Frau, zumal es auch um das Kindeswohl geht.
Sie sprechen es an: Die Evangelische Allianz hat sich insbesondere mit Argumenten bezüglich der Situation von Kindern gegen die Vorlage ausgesprochen. Wenn wir jetzt aber auf die Möglichkeit für gleichgeschlechtliche Paare zu heiraten blicken: Welche Auswirkungen hat die Ehe für alle für Freikirchen?
Weil es die Form der eingetragenen Partnerschaft ja schon gab, ändert das für uns jetzt nicht viel. In der Allianz gibt es bereits Gemeinden, die homosexuelle Paare segnen und das ist gemäss ihrer Auslegung der Bibel in Ordnung. Aber ein Grossteil der Freikirchen wird gleichgeschlechtliche PartnerInnen nicht trauen, nur weil das jetzt standesamtlich möglich ist. Es gibt ja auch keinen Zwang für die PastorInnen: Niemand muss Eheschliessungen durchführen.
Gerade Freikirchen sind ja nicht unbedingt für ihren bejahenden Umgang mit Homosexualität bekannt. Spüren Sie in Anbetracht des gesellschaftlichen Diskurses keinen Druck, jetzt etwas am Verständnis oder Umgang zu ändern?
Nein. Für uns stand Kindeswohl im Zentrum dieser Abstimmung und das bleibt weiterhin so. Die Ehefrage ist auch eine nach den Kindern und wir glauben, dass es für sie wichtig ist, einen Vater und eine Mutter als Bezugspunkt zu haben. Das hat nichts mit den Paaren zu tun, sondern mit der Ehe als Wunsch vor Gott. Dazu möchte ich ausserdem sagen, dass es in den Medien viel zu oft um das Thema Homosexualität und Freikirchen geht. Unser Anliegen ist es, dass Menschen Gott kennenlernen, denn nur er kann definieren, wer du wirklich bist. Für uns hat der Mensch als Kind Gottes einen viel höheren Stellenwert für die Identität als die sexuelle Orientierung. Zudem muss ich sagen, dass Freikirchen sicherlich Fehler gemacht haben im Umgang mit Menschen, die homosexuell sind, und das ist nicht in Ordnung.
Viele verschiedene Gemeinden und Werke sind in der Evangelischen Allianz vereint – gab es bezüglich dieses Themas innerhalb des Verbands verschiedene Positionen und wie gehen Sie damit um?
Ja, die Bandbreite ist gross und da gab es unterschiedliche Meinungen, die kontrovers diskutiert worden sind. Es ist aber wichtig, zu verstehen, dass alle Gemeinden in der Allianz autonom sind und Stellungnahmen nicht bindend sind für die Mitglieder. Wir sind sehr für einen offenen Dialog und führen diesen auch. Wenn ich jetzt eine Anfrage für eine Hochzeit eines gleichgeschlechtlichen Paares bekäme, wüsste ich, an wen ich sie weiterverweise, wenn ich das aus Überzeugung selber nicht machen möchte. Ich bin froh, dass es Glaubensgeschwister gibt, die andere Meinungen vertreten als ich zum Beispiel und es ist mein Wunsch, dass sich homosexuelle Menschen und Paare in unseren Gemeinden wohl fühlen und gerne zu uns kommen. Auch wenn wir eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft nicht «Ehe» nennen möchten.
Andreas Hartmann ist 34 Jahre alt, Pastor bei der Freien Evangelischen Gemeinde Basel und seit 2020 Präsident der Evangelischen Allianz Basel-Stadt.