Die gesellschaftlich geführten Diskussionen um «Gender» sind allgegenwärtig. Auch Religionen prägen Geschlechterordnungen mit. Wir geben im Folgenden einen Überblick, wie das Thema in verschiedenen Religionen verhandelt wird.
Seit den 1990er Jahren beschäftigen sich die sozialwissenschaftlichen Gender Studies mit dem Thema Gender, das heisst mit den sowohl biologisch als auch sozial-kulturellen Aspekten von Geschlecht. Im religiösen Kontext lautet dabei eine der zentralen Fragen: Wie definiert eine spezifische Glaubensgemeinschaft körperliche Geschlechtlichkeit und Geschlechterrollen und wie beeinflusst dies Handlungen in der religiösen Praxis sowie im sozialen Miteinander?
So wie in allen gesellschaftlichen Bereichen bestehen auch im religiösen Feld unterschiedliche Gender-Normen und -Vorstellungen. Wichtig dabei ist, diese Normen aus einer komplexen Verflechtung von regionaler Kultur, soziopolitischer Gegebenheit und religiöser Tradition zu verstehen. Wie eine religiöse Person oder Gruppe Gender versteht, hängt also nur bedingt von deren Religion ab. Deshalb sollte die Person mit ihrem gesamten Hintergrund in den Blick genommen werden: Welche Erziehung, Privilegien oder Ressourcen stehen ihr zu Verfügung?
Was auch eine Rolle spielt: Gender ist für viele Personen(-gruppen) kein präsentes Thema, weil andere Bereiche in ihrer Lebenssituation mehr Aufmerksamkeit fordern. Beispielsweise stehen nicht öffentlich-rechtlich anerkannte Gemeinschaften, die keine finanzielle Unterstützung erhalten, vor diversen existentiellen Herausforderungen: Räumlichkeiten finden, Seelsorge bieten, Beerdigungen organisieren, etc. Bevor beispielsweise eine bestimmte Frauenrolle bewertet wird, ist also folgende Frage lohnenswert: Welche Themen sind im Leben dieser Personengruppe gerade drängend und existenziell? Dann ergibt sich oftmals ein neuer Blick auf das Thema.
Ähnlich komplex ist der Umgang mit religiösen Quellen, die entscheidend Gender-Normen beeinflussen. Ein Vers eines religiösen Textes kann nicht auf eine eindeutige Aussage reduziert werden. Texte werden immer von Menschen und in bestimmten Kontexten gedeutet. Das nennt sich Auslegung oder Exegese. Einzelne Deutungen setzen sich als Mainstream durch, andere werden vergessen oder unterdrückt. Fakt ist: Seit jeher thematisieren religiöse Texte und deren ExegetInnen das Wesen des Menschen und die zwischenmenschlichen Beziehungen. Somit ist Gender auch Thema der Religionen.
Im Folgenden werden dazu unterschiedliche Positionen und Entwicklungen in den einzelnen Religionen aufgezeigt. Es wird jedoch keine eindeutige Antwort auf die Frage gegeben: Wie steht denn nun die Religion XY zu Gender? Denn schlussendlich ist Religion immer das, was die Menschen daraus machen und damit sehr individuell. Anschliessend an unseren Artikel können Sie also viel zum Thema lesen und erkunden. Dazu einige Literaturempfehlungen am Ende jedes Kapitels. Darüber hinaus empfehlen wir stets: Das Gespräch.
Im Buddhismus existieren verschiedene Strömungen und Traditionen, wie in allen Religionen, daher gibt es nicht «den einheitlichen Buddhismus». Ausserdem gibt es keine einheitliche Heilige Schrift im Buddhismus, sondern verschiedene Textsammlungen, die je von den unterschiedlichen Traditionslinien gelesen werden. In den letzten Jahrzehnten haben WissenschaftlerInnen, etwa Rita Gross, geschlechtsspezifische Aspekte der buddhistischen Lehren und Praktiken kritisch untersucht. Laut heutigem Forschungsstand ergebenen sich aus den kanonischen Texten, wie dem Palikanon oder dem Kālacakratantra, unterschiedliche Haltungen zu Gender-Themen:
Die Texte schildern unter anderem, dass die Möglichkeit des «Erwachens» für alle bestehe – also unabhängig vom Geschlecht. In manchen Texten heisst es paradoxerweise, dass Frauen dieses spirituelle Ziel nicht erreichen können. Feministisch orientierte BuddhistInnen heute argumentieren gegen diese Haltung, dass die Hierarchisierung zwischen den Geschlechtern eine Form der sogenannten «Anhaftung an die Welt» ist. Ziel des Buddhismus ist eigentlich, diese Anhaftung zu überwinden, um «zu erwachen». Historisch bedingt liegt jedoch bis heute in weiten Teilen die Macht übers Ordenswesen und Lehre bei Männern.
Die Schriften beschreiben generell Frauen und Männer als wesensunterschiedlich. Weiblichkeit trägt die Eigenschaften der analytischen Klarheit und Weisheit. Männlichkeit steht für mitfühlende Liebe und Erleuchtung. Interessant ist, dass dieses Geschlechterkonzept genau entgegengesetzt zu «westlichen» Normen steht. Insgesamt wird im Buddhismus zwischen vier Geschlechtern unterschieden. Neben männlich und weiblich beschreiben die Vinya-Ordensregeln Menschen mit asexuellem Geschlecht sowie mit zwei Geschlechtsteilen. Für das Ordenswesen durchgesetzt hat sich schliesslich das binäre Schema zwischen männlich und weiblich und dies in Verbindung mit festen sozialen Rollen. Allerdings heisst es in manchen alten Ordenstexten, dass eine Ordinierung erst nach der dritten Geschlechtsumwandlung verwehrt wird, was Toleranz gegenüber nicht-binärer Geschlechtlichkeit andeutet.
Es zeigt sich also: Einigen Textpassagen zufolge sind Männer den Frauen und anderen Geschlechtern in sozialer wie auch spiritueller Hinsicht überlegen. Gleichzeitig sprechen die zentralen Lehren des Buddhismus gegen eine solche Hierarchisierung. Die Religionswissenschaftlerin und buddhistische Nonne Carola Rottloff bewertet diese Mehrdeutigkeit in Bezug auf Gender-Themen als positiv. Denn, wenn die Gender-Normen im Text nicht eindeutig festgeschrieben sind, können Sie je nach Zeit und Person neu ausgelegt werden.
Buddhismus zeigt sich je nach Ort und Zeit in unterschiedlichen Formen. Zum Beispiel beeinflussen die bestehenden Normen in Europa und Amerika die hiesigen buddhistischen Praktiken und Vorstellungen zu Sexualität und Geschlecht. Deswegen ist die Unterscheidung zwischen «asiatischem» und «westlichem Buddhismus» dienlich. Allerdings haben diese Begriffe ihren Ursprung in der westlichen Vorstellung, Kulturen des Nahen Ostens und Asiens seien exotisch, fremdartig und dem westlichen Denken unterzuordnen. Trotz dieser äusserst problematischen Bestimmung werden zumindest die Begriffe «asiatischer und westlicher Buddhismus» auch in der Wissenschaft verwendet. Nicht zu vergessen ist: Auch innerhalb der zwei Kulturräume «Osten» und «Westen» herrscht grosse Vielfalt, je nach buddhistischer Traditionslinie.
Innerhalb der buddhistischen Vielfalt herrscht der Konsens, dass ethisches Verhalten, Mitgefühl und Achtsamkeit in allen Lebensbereichen praktiziert werden sollen, so auch in sexuellen Beziehungen. In vielen buddhistischen Traditionen wird eheliche Treue und die Wahrung von Verpflichtungen in einer festen Beziehung betont. In buddhistischen Orden gilt meist die Praxis der Enthaltsamkeit für Mönche und Nonnen. Durch sexuelle Enthaltsamkeit könne sich auf spirituelles Wachstum und die Befreiung von weltlichen Bindungen konzentriert werden. Alle buddhistischen Strömungen weisen variierende Interpretationen auf, was als sogenanntes lobenswertes und nicht-lobenswertes sexuelles Verhalten gilt.
Medien zeigen immer wieder Stereotype und verzerrte Darstellungen von buddhistischen Lebensweisen. So zum Beispiel werden die tantrischen Lehren stark auf das Thema Sexualität und die Verehrung des Weiblichen reduziert. Tatsächlich setzte die erste buddhistisch-tantrische Bewegung obszöne Sprache ein, um zu schockieren und gegen den monastischen Buddhismus zu rebellieren. Obwohl der buddhistische Tantrismus eine weibliche Buddha verehrt, war und ist er oft in einer patriarchalen Gesellschaftsstruktur verwurzelt. Gerade der Fokus auf weibliche Energie, vor allem in heutiger Popkultur, verstärkt eher traditionelle Geschlechterrollen.
Auch wenn die alten buddhistischen Schriften bereits vier unterschiedliche physische Geschlechter beschreiben, erfahren Geschlechter auf dem LGBTQI+-Spektrum Ausgrenzung, vor allem im Klosterwesen. In buddhistisch geprägten Ländern herrscht strukturelle Marginalisierung von sexueller Diversität. Taiwan war 2019 das erste Land Asiens, was gleichgeschlechtliche Ehe erlaubte. Einzelne Stimmen im Buddhismus fordern die Modernisierung der buddhistischen Sexualmoral. Vor allem im sogenannten Westen gibt es viele queere BuddhistInnen, die ihre Sexualität und Religion in Einklang miteinander leben. Aber auch in Asien gibt es vereinzelt queere buddhistische Gruppierungen, die aber in der Öffentlichkeit wenig sichtbar sind.
Frauen sind den Männern zwar im Buddhismus nicht prinzipiell untergeordnet, im Ordenswesen jedoch schon. Weltweit ist die Zahl der Männer in geistigen Leitungsposition deutlich höher. Nur selten ist eine Frau Oberhaupt einer Traditionslinie. Im Laufe der Geschichte erfuhren Nonnenorden in Asien oftmals weniger finanzielle Unterstützung, was dazu führte, dass es bis heute wenig ordinierte Nonnen gibt. Heute halten drei buddhistische Schulen die Ordination von Nonnen aufrecht. Eine Internationale Konferenz buddhistischer Frauen, die Saggjegita, «Töchter des Buddha», setzt sich heute für die buddhistische Ausbildungsprogramme und Ordination von Frauen ein.
In Europa und Amerika hat sich der Buddhismus verstärkt ab den 1960ern ausgebreitet. Hier war der Anteil an Frauen unter den neuen AnhängerInnen zwar grösser, LehrerInnen waren aber überwiegend Männer. Heute zeigt sich jedoch, dass sich gerade die Formen des Buddhismus im Westen am stärksten verbreiten, in denen Frauen gleichberechtigt sind. Generell scheint sich im Westen eine Tendenz zur Aufweichung von Hierarchien im Buddhismus abzuzeichnen: In Basel werden die meisten buddhistischen Gruppen von Laien geleitet und Geschlecht spiele keine Rolle. Es sind jedoch meist ordinierte Mönche, die für Vorträge eingeladen werden.
Manche WissenschaftlerInnen sehen in Bezug auf Gender-Fragen Forschungsbedarf. Sie fordern differenzierte Interpretationen, die den Entstehungskontext der Schriften berücksichtigen. In den letzten Jahren fand Aufarbeitung von strukturellen Problemen im Klosterwesen statt, nachdem Fälle sexuellen Missbrauchs zu Tage kamen. Der Schutz vor Machtmissbrauch im Klosterwesen wird BuddhistInnen weltweit weiterhin beschäftigen.
Welche Geschlechternormen lassen sich aus der christlichen Bibel ziehen? Das entscheidet der spezifische Umgang mit der Heiligen Schrift. Weitere Faktoren für die unterschiedlichen Positionen sind: Die konfessionelle Kirchenvielfalt, die kulturellen und lokalen Ausprägungen und die theologischen Ausrichtungen. Im Folgenden skizzieren wir ein paar wenige Herangehensweisen zu genderbezogenen Passagen in religiösen Texten.
Eine Bibelstelle, die immer wieder die Meinungen spaltet, ist der Schöpfungsbericht:
Der Schöpfungsbericht galt lange Zeit und bis heute in vielen Ausprägungen des Christentums als Legitimation der Heterosexualität als einzig gottgewollte Lebensform. Seit den 1970er Jahren reagieren vermehrt TheologInnen mit feministischem Blick auf die binären Geschlechterrollen, die in der Bibel gelesen werden. VertreterInnen dieser theologischen Richtung betonen die zentrale Botschaft des Evangeliums: Gerade diskriminierte Gruppen und Minderheiten haben ihren Platz in der Gnade und dem Reich Gottes. Sie machen darauf aufmerksam, dass im Schöpfungsbericht in Vers 27 im Hebräischen mit «männlich und weiblich» der Fokus auf den körperlichen Ausprägungen liegt. Daraus ergebe sich nicht automatisch eine spezifische Geschlechterrolle und Beziehungsform. Durch die Übersetzung vom Hebräischen ins Latein hat sich die Übersetzung «als Mann und Frau» durchgesetzt, die sprachlich stärker binär wirkt. Ein weiteres Argument, das von feministischen und queeren TheologInnen genannt wird: «männlich und weiblich» können auch als zwei Pole eines vielfältigen Spektrums an Geschlechtern gedeutet werden, das gottgewollt ist. Denn, im Schöpfungsbericht heisst es zum Beispiel auch: Gott erschuf Licht und Finsternis. Niemand würde leugnen, dass es auch das ganze Spektrum an Dämmerungszuständen dazwischen gibt. Ein Produkt solcher Reflexionen der biblischen Sprache ist «Die Bibel in gerechter Sprache». Sie erschien 2006 und berücksichtigt erstmals drei Perspektiven: den jüdisch-christlichen Dialog, die feministische Theologie und die Befreiungstheologie.
Solche Projekte werden von manchen ChristInnen entschieden abgelehnt. Dazu zählen diejenigen, die die Bibel möglichst wortwörtlich verstehen. Die Forschung bezeichnet die Strömung «Biblizismus». Heute findet sich dieser Umgang am häufigsten in evangelikal geprägten Kirchen. So werden beispielsweise aus dem Schöpfungsbericht die Natürlichkeit der heterosexuellen Ehe und der Mutterschaft als Frauenrolle hergeleitet und andere Lebensweisen als sündhaft bewertet. Bei genauem Hinsehen wird klar, dass sich diese Geschlechternormen nicht allein aus den Worten der Bibel ergeben – denn die Aussagen der Bibel sind – wie in anderen religiösen Schriften – nicht eindeutig. Die Bibel besteht aus einer Sammlung von Texten; sie schildern die Erfahrungen mit dem Gott Israels von und für unterschiedliche Volksgruppen; aus anderen Zeitaltern und an verschiedenen Orten. Da kommt es auch in der Bibel zu sich widersprechenden Aussagen. Bei dem sogenannten christlich konservativen Weltbild haben sich einige Grundsätze und Lebensweisen, die auf Bibelverse zurückgeführt werden, durchgesetzt – andere nicht.
Eine Errungenschaft der feministischen Theologie ist, dass die Deutungshoheit der Bibel nicht mehr allein den Männern obliegt. Feminismus im Christentum (sowie auch generell) bleibt dabei plural. Das heisst, es gibt nicht die eine feministisch-christliche Meinung. Ausserdem liegen oftmals theoretische Überlegungen und kirchliche Praxis weit auseinander.
Christliche Normen entwickeln sich – wie in anderen Religionen auch – immer durch ein komplexes Netz zwischen religiöser Schrift, menschlicher Deutung und gesellschaftlichen Strukturen. Hinzu kommt, dass sich die unterschiedlichen Konfessionen und jeweils unterschiedliche theologischen Strömungen in ihren Lehrmeinungen unterscheiden. Deshalb kann gar nie die Rede sein von «einer einheitlichen christlichen Sexualmoral» oder Ähnlichem.
In der römisch-katholischen Kirche gibt es das Organ des Lehramts, welches die Autorität über die Glaubensgrundsätze der weltweiten Kirche trägt. Sie werden im Austausch zwischen Bischöfen und Papst in sogenannten Synoden entwickelt. Obwohl sich hier immer wieder massive Ängste und Einwände gegenüber Genderthemen zeigen, finden sie seit einigen Jahren Einzug in den Synoden.
Seit einigen Jahren gibt es innerhalb der römisch-katholischen Kirche aktivistische Bemühungen, die auch Genderthemen einbeziehen: In Deutschland etwa innerhalb des Gremiums «Der Synodale Weg», der sich 2018 auf Grund der Missbrauchsfälle gründete. Sie setzen sich für Transformationen der RKK ein. In Basel arbeitet seit 2013 die «Gleichstellungsinitiative» und die «Junia-Initiative» für ähnliche Ziele.
Die Evangelischen Kirchen haben im Gegensatz zur römisch-katholischen Kirche ein dezentrales Verständnis der Glaubenslehre. Spezifischere Lehrsätze und damit einen grösseren Spielraum an Handhabungen von Genderthemen. In einer Vielzahl von evangelischen Kirchen und Verbänden wird Gender und seine Bedeutung für den Glauben und die Kirche reflektiert. Seit den 80er-/90er-Jahren gründeten sich in der Schweiz sowohl in der Katholischen als auch Evangelischen Kirche zahlreiche Fachstellen, die speziell Frauen- und Genderfragen in der Kirche berücksichtigen sollen. Oftmals wird ökumenisch zusammengearbeitet. Heute sind einige nicht mehr aktiv, da ihnen nicht genug finanzielle Mittel zugesprochen wurden.
Evangelische Freikirchen unterscheiden sich in ihren Glaubenssätzen und Gendervorstellungen von Verband zu Verband und auch innerhalb der Gemeinde. In manchen evangelikal geprägten Kirchen haben sich gewisse Geschlechternormen gefestigt, die dem oben beschriebenen biblizistischen Verständnis entspringen. Aber auch hier sind die Positionen keinesfalls einheitlich. In der methodistischen Kirche beispielsweise gibt es etwa bezüglich der Ehe für Alle, zwei gegensätzliche Lager. Die Schweizerische Evangelische Allianz, eine Vereinigung einiger Freikirchen, hat 2023 das Netzwerk «Gemeinsam gegen Grenzverletzung» gegründet und möchte somit verstärkt gegen sexuellen Missbrauch vorgehen.
Eine stereotype Vorstellung über ChristInnen ist Ihre Leibfeindlichkeit. Gemeint ist: Sexualität und Lust gelten im Christentum als Sünde, hingegen Reinheit und Enthaltsamkeit als Ideal. Dieses Vorurteil ist keinesfalls ohne Grundlage. Anknüpfend an die Erbsündenlehre des Kirchenvaters Augustinus (354-430) entwickelte sich diese christliche Norm. Heute erfreut sich beispielsweise «True Love Waits», eine Keuschheitsbewegung entstanden in den 1990ern, weltweit grosser Beliebtheit. Weiterhin äussert sich die leibfeindliche Konvention in der Vorschrift einiger Kirchenräume, Schultern und Knie zu bedecken. Die Tracht der Nonnen und Mönche sind allerdings Symbol für die Entscheidung für Gott zu leben und nicht primär Verschleierung sexualisierter Körperteile. Neben den Keuschheitsbewegungen war und ist christliches Leben divers. Es gibt viele TheologInnen und ChristInnen, die die Bibel sexpositiv verstehen und zahlreiche feministische und queere Initiativen in den Kirchen.
In der RKK ist das Zölibat (= geschlechtliche Enthaltsamkeit) Pflicht für Priester. Ausserdem gilt sowohl in katholischen als auch protestantischen Klöstern die sexuelle Enthaltsamkeit. Das katholische Lehramt hat Abtreibung unter das Tötungsverbot gestellt. Künstliche Verhütungsmittel sind in der römisch-ratholischen Kirche verboten. In den letzten Jahren wird darüber innerhalb den katholischen Kirchen stärker diskutiert. Die Orthodoxe Kirche, die im 11. Jh. n. Chr. aus der Trennung von der römisch-katholischen Kirche hervorging, verzichtet in ihrer Soziallehre von 2020 auf einige Verbote in Bezug auf Ehe und Sexualität. So sind Verhütungsmittel erlaubt, Sex vor der Ehe und Abtreibung widersprächen aber den verbindlichen Glaubenslehren.
Die Reformation im 16. Jahrhundert hat zunächst die vorherrschende Geschlechterhierarchie nicht verändert. Allerdings galt Sexualität innerhalb der Ehe unter den Reformierten als natürlich und nicht als sündhaft, weswegen auch das Zölibat für PriesterInnen abgeschafft wurde. Heute werden in der reformierten Kirche Fragen bezüglich Körper und Sexualität tendenziell eher dem Individuum überlassen. Freikirchen formulieren hingegen häufiger normative Haltungen zu diesen Themen. Beispielsweise raten manche von Pornografie und Selbstbefriedigung ab.
Im Christentum herrscht ein grosses Spektrum zwischen Toleranz und Ablehnung gegenüber LGBTQ+-Personen. Die Uneinigkeit gründet unter anderem darauf, dass sich in der Bibel keine Aussagen zu diesen sexuellen Orientierungen und Lebensweisen finden. Den Begriff Homosexualität gibt es in der Bibel nicht. In der Lot-Geschichte kommt es zu homosexuellen Handlungen, jedoch in Form von Vergewaltigung. Im Neuen Testament bezieht sich der Apostel Paulus auf sexuelle Aktivitäten von Männern mit jungen Sklaven. Unterschiedliche Deutungen solcher Textpassagen konkurrieren miteinander, unter anderem mit der Frage, ob diese Aussagen überhaupt auf heutige Beziehungsformen übertragen werden können.
Innerhalb von christlichen Ex-Gay-Organisationen werden sogenannte Konversionstherapien für Homosexuelle angeboten. Auf Grundlage von fehlerhaften Studien, hat sich hier die Vorstellung etabliert, die sexuelle Orientierung eines Menschen ändern zu können. Durch die Suizide von Therapierten bekennt eine der grössten Organisationen in den USA ihren Irrtum und beendet 2013 ihre Arbeit. In Deutschland und der Schweiz führt die Organisation «Wüstenstrom» solche Konversionstherapien durch. Es kommt ausserdem vor, dass in seelsorgerlichen Angeboten ähnliche Ziele wie bei der Konversionstherapie verfolgt werden. Vereine wie «Zwischenraum» bilden eine Gegenbewegung und begleiten queeren Menschen, die in ihrer Kirchgemeinde diskriminiert werden. In der Schweiz ist Konversionstherapie nicht verboten, da Behandlung einer «Nichtkrankheit» nicht verboten werden könne.
Seit 2016 gibt es in Basel den Arbeitskreis Regenbogenpastoral der römisch-katholischen Kirche, der seelsorgerlichen Dienst anbietet und sich für eine diversitätsfreundliche Weiterentwicklung der Kirche einsetzt. Vor allem homosexuelle Priester haben in der katholischen Kirche mit Hürden zu kämpfen und stehen oftmals unter Druck, ihre Sexualität zu verschweigen. Heute spricht sich Papst Franziskus gegen Diskriminierung und für die rechtliche Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Paaren aus. Die Ehe gilt allerdings im Katholizismus als heiliges Sakrament und ist der heterosexuellen Beziehung vorbehalten. Das zentrale Argument liegt im göttlichen Auftrag der Fortpflanzung. In einzelnen Kirchgemeinden können sich homosexuelle Paare segnen lassen, was sich jedoch von einer kirchlichen Trauung unterscheidet. Vom Lehramt gibt es dazu keine explizite Genehmigung. Diese wird derzeit im sogenannten synodalen Prozess, initiiert vom Papst, diskutiert. Als Vergleich: In der Christkatholischen Kirche ist die Trauung (nicht Segnung) gleichgeschlechtlicher Paare seit 2020 eingeführt.
In vielen reformierten Kantonalkirchen werden homosexuelle Paare seit den 1990er Jahren gesegnet. 2019 sprach sich der Schweizerische Evangelische Kirchenbund für die Trauung gleichgeschlechtlicher Paare aus. Die Entscheidungsmacht obliegt jedoch den einzelnen Kirchgemeinden. Somit gibt es einige Gemeinden, die sich weigern, gleichgeschlechtliche Paare zu trauen. Die Offene Kirche Elisabethen in Basel macht sich öffentlich für queere Lebensrealitäten stark und hat 2022 die «Namensfeier für Trans-, Inter- und nicht binäre Menschen» eingeführt.
In einigen reformierten Freikirchen wird das Ausleben der nicht-heterosexuellen Orientierung als sündig angesehen, obgleich die betreffende Person von Gott geliebt sei. Die Schweizerische Evangelische Allianz, ein Verband von rund 460 Landes- und Freikirchlichen, hatte vor der Abstimmung zur Ehe für Alle 2019 ihre Position deutlich gemacht: Die Ehe gilt für Mann und Frau und sei besonders für das Kindeswohl zu bewahren. Es obliege jedoch den einzelnen Gemeinden homosexuelle Paare zu segnen oder zu trauen.
In der römisch-katholischen Kirche obliegt das geistliche Amt, das Priestertum, allein Männern. Initiativen wie die Basler «Junia-Initiative» zeigen die Bestrebungen für Gleichstellung und Ordination von Frauen* (?) . Die Junia-Initiative setzt sich weiter dafür ein, dass Frauen bei den Bischofsynoden Stimmrecht erhalten. Eine prominente katholische Stimme für Gleichstellung ist die deutsche Benediktinerin Philippa Rath. Sie sammelte in ihrem Buch «Weil Gott es so will» Stimmen von 150 Katholikinnen, welche ein geistiges Amt bekleiden wollen. Durch den Priestermangel in der Schweiz übernehmen zunehmend auch nicht-geweihte Theologen und Theologinnen die Gemeindeleitung. Sie übernehmen mit bischöflicher Bewilligung viele Aufgaben eines geweihten Priesters. Die Eucharistie, die Trauung und das Busssakrament ist jedoch dem Priesteramt vorbehalten.
In den anderen christlichen Kirchen klaffen oftmals die offizielle Gleichstellung von Männern und Frauen und die Realität in den Ämtern auseinander. In der evangelisch-reformierten Kirche der Schweiz bekleiden auch Frauen seit 1970er Jahren das Pfarramt. In Freikirchen zeigt sich bezüglich der Organisationsstruktur eine grosse Vielfalt, was die Rolle der Frau angeht. Teilweise herrscht das Geschlechterverständnis, Frauen seien gleichwertig aber nicht gleichgestellt, weswegen das Priesteramt von Männern ausgeführt wird. Meist wird das PriesterInnenamt in Freikirchen von Laien bekleidet und in einigen gleichermassen von Männern und Frauen.
Im wissenschaftlichen Diskurs findet die Auseinandersetzung zwischen christlicher Theologie und Gender-Theorien bereits seit Ende des 20. Jahrhunderts statt. Allerdings erhalten zeitweilen Forschungsprojekte zu Gender-Themen keine Finanzierung, da die Relevanz angezweifelt wird oder es als typisches «Frauenthema» heruntergesetzt wird. Im Tätigkeitsfeld der Gemeindearbeit und der Seelsorge hat sich der Genderbegriff ebenfalls etabliert. Dies äussert sich in der sensiblen Behandlung von genderspezifischen Problemen, bspw. der Erfahrung von Sexismus im Alltag von Frauen oder der Einrichtung von kirchlichen «Gender»-Fachstellen. Wie sich das katholische Lehramt in Zukunft zu den Forderungen nach mehr Geschlechtergerechtigkeit positionieren wird, bleibt spannend. Vor allem an der Basis der römisch-katholischen Kirche zeigen sich intellektuelle und aktivistische Anstrengung zu diesen Themen.
Der Koran und die Hadithe sind zentrale Quellen für die Religiosität von MuslimInnen. Seit den Anfängen werden diese von Kommentaren und Auslegungen (Exegese) begleitet, wobei dies Jahrhunderte lang mehrheitlich von Männern betrieben wurde. Heute prägen unter anderem Strömungen das Schriftverständnis, die die islamische Tradition aus früheren Jahrhunderten rezipieren und eine schriftnahe Auslegung anstreben. Hier gelten Gender-Normen wie zum Beispiel, dass Sex nur innerhalb der Ehe zwischen Mann und Frau legitim sei. Solche Strömungen erfuhren im Verlauf der Geschichte und je nach Land sowohl Rückgang als auch Zuwuchs. Seit den 1970ern etabliert sich zudem eine zunehmend feministische Koranexegese. Dies wird an folgendem kontrovers diskutierten Vers sichtbar:
Die einen verstehen die Geschlechterhierarchie und den Aufruf zur Züchtigung als allgemeingültige und explizite Grundsätze. Die anderen, die sich meist als reformorientiert bezeichnen, gehen anders mit der Heiligen Schrift um: Gebote des Korans können, wie in allen religiösen Traditionen, nicht alle 1:1 in die heutige Zeit übertragen werden. Gott habe sich Mohammed im 6. Jahrhundert n.u.Z. gemäss des Wissenstandes der damaligen Gesellschaft mitgeteilt. Zudem wird die sprachliche Uneindeutigkeit betont: «Schlagen» beinhaltet im Arabischen auch die Bedeutung «prägen». Es stellt sich also die Frage, ob überhaupt physisches Schlagen gemeint ist. Ausserdem stehe die Geschlechterhierarchie im Widerspruch zu zentralen Grundsätzen des Islam, wie Einheit, Unvergleichbarkeit und Gerechtigkeit Gottes. Einige reformorientierten TheologInnen machen sich dafür stark, zwischen zeitlich bedingten und allgemeingültigen Versen zu unterscheiden. Bis heute existieren unterschiedliche Methoden im Umgang mit Koran und Hadithe nebeneinander. Im 21. Jahrhundert liefern einige wenige MuslimInnen queere Lesarten des Koran und der Hadithe, wie Tugay Sarac, LGBTIQ+-Koordinator der Ibn Rushd-Goethe Moschee in Berlin.
Das islamische Recht ist ein Teil der Scharia. Die Scharia („Weg zur unerschöpflichen Wasserquelle“) ist nicht in einer festen, schriftlichen Form verfügbar. Sie steht für die Bemühungen des Menschen, das tägliche Leben als Gottesdienst zu organisieren. Das islamische Recht, welches im Gegensatz zur säkularen Gesetzgebung religiöses und ziviles Recht verknüpft, speist sich primär aus Koran und Sunna, sekundär von den Gelehrten und dem Analogieschluss. In Bezug auf Genderfragen spielt es eine zentrale Rolle, da es das Ehe- und Familienrecht umfasst. Genau genommen gibt es allerdings nicht «das» islamische Recht, da es je nach Rechtsschule und Land in ihren Inhalten und ihrem Status variiert. Das islamische Recht ist dynamisch und wird laufend ergänzt und angepasst, um gerade auch auf gegenwärtige Fragen Antworten zu finden. So spricht heute das islamische Recht in einigen Ländern den Frauen wieder mehr Rechte zu, beispielsweise bei Scheidungsprozessen. Gleichzeitig sind traditionalistische Entwicklungen zu verzeichnen, zum Beispiel im Iran. Die verschärfte Verfolgung von Frauen sowie LGBTIQ+-Personen ist in den meisten Fällen als (patriarchale) Machtdemonstration einzelner Personen und Staatssysteme zu verstehen, die dies dann als islamisch zu legitimieren suchen.
Im alltäglichen Leben werden Konzepte von Geschlecht und Geschlechterordnung sichtbar. Wichtig ist auch hier zu verstehen: Diese ergeben sich nicht allein aus der religiösen Anschauung, sondern in Wechselwirkung mit politischem System, kulturellem und religiösem Brauchtum sowie sozialer und individueller Prägung.
Im Folgenden werden einzelne genderbezogene und diskutierte Aspekte herausgegriffen.
In vielen Moscheen in der Schweiz gibt es je einen grossen Gebetsraum und einen separaten Raum für Frauen. Ursache für diese Architektur waren in den meisten Fällen die knappen finanziellen Ressourcen der Migrant:innen. In den Moscheen beten Frauen und Männer unter einem Dach. Die Frauen besitzen in der Regel einen eigenen Bereich, so zum Beispiel auf einer Galerie oder in einem eigenen Raum. Befinden sich alle auf derselben Ebene, dann beten die Frauen entweder hinter oder neben den Männern. Im deutschsprachigen Raum gibt es unterschiedliche Meinungen zum geschlechtergetrennten Gebet: Es wird argumentiert, die Anwesenheit des «anderen Geschlechts» rufe Begierde hervor, was wiederum die Beziehung zu Gott beim Gebet störe. Einige Musliminnen berichten, dass sie äusserst gerne in einem separaten Raum beten und hier Selbstermächtigung empfinden. Andere wünschen sich, im grossen Gebetsraum teilzunehmen. Die täglichen Pflichtgebete gelten für Männer und Frauen gleichermassen. Lediglich sind die Frauen von dem Ideal befreit, diese in der Moschee zu verüben. Die für viele MuslimInnen gängige Geschlechtertrennung, wie etwa in der Moschee und dem Schwimmunterricht, wird hierzulande immer wieder von der Öffentlichkeit diskutiert. Beim Rechtsstreit um den Schwimmunterricht beispielsweise wurde vom Menschengerichtshof entschieden, dass geschlechtergemischter Unterricht Pflicht sei und nicht gegen die Religionsfreiheit verstosse.
Seit dem 19. Jahrhundert wird die Bedeutung des Kopftuches bei Musliminnen vor allem aus feministischer Perspektive diskutiert. Ende des 20. Jahrhunderts begann in Europa der «Kopftuchstreit» mit der Diskussion um ein Verbot in der Öffentlichkeit. Die Begründung: Das Kopftuch stehe im Kontrast zu europäischen Werten und sei Ausdruck einer muslimisch-fundamentalistischen Gesinnung. MuslimInnen reagieren auf diese Debatte in vielfältiger Weise. Im Vordergrund steht, dass die Frau ein Recht auf Selbstbestimmung habe und ein Kopftuchverbot genau dieses einschränke. Manche MuslimInnen raten, das Kopftuch abzuschaffen, da sie es als Schutz vor unsittlichem Verhalten interpretieren, dieser Schutz heute jedoch durch andere Mittel garantiert werde. Dagegen formulieren andere MuslimInnen ein anderes Verständnis: Das Kopftuch ist eine Entscheidung zum Glauben und somit wichtiger Identitätsmarker. Manche berichten, es sei Ihnen wichtig, gerade als Minderheit in Europa ihren Glauben nach aussen selbstbewusst zu zeigen und ihre Zugehörigkeit sichtbar zu machen. Daneben gibt es praktizierende Musliminnen, denen ihr religiöses Bekenntnis nicht anzusehen ist. Die Islamwissenschaftlerin Aysun Yaşar empfiehlt, in dieser Debatte unterschiedliche und sich widersprechende Haltungen zu tolerieren und Interessierte über die Hintergründe und Pluralität des Islam aufzuklären.
Für die Mehrheit von muslimischen Gemeinschaften ist Homosexualität heute entweder ein Tabuthema oder ein Thema, mit dem sie nicht bewusst in Berührung kommen. Die homoerotische Dichtung der sogenannten «islamischen Welt» zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert illustriert, das dem nicht immer so war. Auch in diesem Zeitalter bewerteten islamische Gelehrte Homosexualität als eine verwerfliche Handlung. Auch wenn sich somit zwei Schichten kritisch gegenüberstanden, bildete das Thema keinen zentralen, schwerwiegenden Konflikt der Gesellschaften. Das lag auch daran, dass Homosexualität noch nicht explizit als Identität verstanden wurde. Dieses Verständnis kam im 19. Jahrhundert, woraufhin konservative Strömungen Homosexualität als Sünde bewerteten, meist gestützt durch die koranische Lot-Geschichte. Homophobie und Transphobie sind Diskriminierungsformen, die in den letzten Jahren weltweit immer stärker werden. Dies sind keine Phänomene, die ausschliesslich in Religionsgemeinschaften auftauchen. In der Schweiz wurde zum Schutz von sexuellen Minderheiten ein Antidiskriminierungsgesetz für Religionsgemeinschaften verabschiedet. Subtile Diskriminierungsformen bleiben aber häufig unbemerkt. Manche muslimische Stimmen positionieren sich öffentlich gegen Transgender oder andere LGBTIQ+ Personen. Hier wird meist die Bewahrung von Gottes Schöpfung betont. Andere setzten sich aktivistisch für deren Rechte ein, beispielsweise innert des Liberal-Islamischen Bundes in Deutschland oder der Organisation Helem im Libanon. An populären gestalten, wie z.B. der türkischen Sängerin Bülent Ersoy wird sichtbar, dass auch in islamisch geprägten Ländern Transsexualität in gewissen Subkulturen öffentlich gelebt wird. In Pakistan gibt es offiziell ein drittes Geschlecht, das die «Hijra» (Trans- und Interpersonen) anerkennt.
In den muslimischen Gemeinschaften dominiert eine patriarchale Geschlechterordnung, bei der Männer Leitungspositionen einnehmen und die Lehren verbreiten. Dieser Umstand gründet sich nicht im Islam selbst, sondern in der patriarchal strukturierten Gesellschaft. Weibliche Gelehrte gab es jedoch seit der ersten Überlieferung der Hadithe. Sie haben jedoch meist in der Geschichtsschreibung – wie auch in der Geschichte anderer Kulturen – wenig Aufmerksamkeit bekommen. Der Koran sowie die Hadithsammlungen nennen jedoch zahlreiche weiblichen Akteurinnen, denen eine bedeutende Rolle als Überlieferinnen beigemessen wird. Die Rolle der Imamin (Vorbeterin) nehmen Frauen nur ein, wenn eine reine Frauengruppe sich zum Gebet trifft. Die Kritik daran verdeutlicht, dass solche Wertungen dem westlichen Gleichtellungsdiskurs folgen. Auch wenn Mann und Frau in den Vereinen nicht die gleichen Funktionen tragen, fühlen sich viele Frauen in ihrer Community wertgeschätzt. In den Frauenkreisen zeigt sich, dass die Frauen autonom agieren. Seit einigen Jahren nehmen Frauen vermehrt Posten im Vorstand von muslimischen Moscheevereinen ein. Zudem sind in den meisten Moscheen mittlerweile ehrenamtliche oder festangestellte Theologinnen präsent, die Vorträge u.ä. halten. Besonders unter den jüngeren Generationen zeigt sich der Drang nach aktiver Teilnahme.
Viele europäische Universitäten investieren zunehmend in die Auseinandersetzung mit dem Islam. Dadurch wird differenziert und kritisch auf religiöse Schriften, Tradition und Gesellschaft geblickt – vermehrt auch von weiblichen Wissenschaftlerinnen mit muslimischem Hintergrund, wie zum Beispiel am Schweizerischen Zentrum für Islam und Gesellschaft der Uni Fribourg. Hier behandeln Forschungsprojekte sowie Workshops Themen wie, Islam und Diversität, Islam im Klassenzimmer, Feministische Koranexegese, Konflikte und Lösungen in der religiösen Erziehung. Ziel ist es, etwa ReligionslehrerInnen und andere Schlüsselpersonen in diesen Feldern weiterzubilden.
Überdies empfiehlt das Forschungszentrum, dass sich Lehrpersonen grundsätzlich mit religiösen Normen auseinandersetzen. Beispielsweise kommt es im Sexualkundeunterricht häufig zu Spannungen, wenn die Lehrperson nicht mit dem Vorwissen und der Haltung zu Sexualität von Kind und Eltern vertraut ist. Ausserdem kann durch solche Weiterbildungsangebote ein konstruktiver Umgang mit Konflikten bezüglich religiöser Vielfalt und Gender erlernt werden. Denn sowohl im wissenschaftlichen Milieu als auch in der Lebenspraxis werden konträre Meinungen zu Genderthemen nebeneinander bestehen bleiben.